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Kriegerdenkmal Findlinge

Von Maik Ullmann

Unscheinbar fügen sie sich in ihre Umgebung ein. Teilweise mit Moos überzogen, vereinzelt nicht einmal mehr an ihrem einstigen Standort, ist ihre ursprünglich intendierte Wirkung kaum mehr zu greifen. Dabei waren die Findlinge einst Teil des kollektiven Gedächtnisses, das selbst auf Ansichtskarten der Zeit seinen Ausdruck fand.[1] Ob Kästorf oder Warmenau im Norden, Hehlingen im Osten, Almke, Hattorf, Heiligendorf, Neindorf und Nordsteimke im Süden oder Fallersleben, Ehmen, Mörse und Sülfeld im Westen – überall, ja selbst im Stadtkern, findet sich ein solcher Stein. Einst durch eiszeitlichen Gletschertransport an ihren Findorten abgelegt, handelt es sich bei den hier thematisierten Findlingen um gezielt dort platzierte Gedenksteine, die anlässlich der Hundertjahrfeier der Völkerschlacht bei Leipzig durch die Gemeinden gestiftet wurden.[2] Als „Denkstein[e]“ [3] zu Ehren der im Oktober 1813 gefallenen 90.000 Soldaten aufgestellt, erinnerten sie zugleich an die Befreiungskriege selbst. Bei diesen Denksteinen handelt es sich keinesfalls um ein Phänomen, das allein in den Dörfern rund um Schloss Wolfsburg Verbreitung fand. Als kostengünstiges Denkmalsmotiv sind sie bereits seit Beginn des 19. Jahrhunderts im französisch besetzten norddeutschen Raum nachweisebar und galten als kollektiver Ausdruck der verbreiteten Ablehnung gegenüber den Unterdrückern.[4] Wie sich die Findlinge gegenüber den Witterungseinflüssen behaupten, sollte sich gleichermaßen die Bevölkerung gegenüber den Franzosen in den Befreiungskriegen zwischen 1813 und 1815 durchsetzen. Für das ausgehende 19. Jahrhundert sind solche Findlinge mit Gedenkfunktion schließlich für das gesamte Deutsche Kaiserreich nachweisbar.
Zweifellos war Deutschland zum Zeitpunkt der Aufstellung der Findlinge geeint. Während der Befreiungskriege hingegen waren die einzelnen deutschsprachigen Königreiche und Fürstentümer gespalten. Nicht wenige der Orte, Gemeinden und Flecken rund um Schloss Wolfsburg standen während dieser Zeit nicht von Anfang an auf Seiten der siegreichen Koalition. Diese setzte sich ursprünglich aus einem Bündnis des preußischen Königreichs und des Zarenreichs Russland zusammen. Fochten sie zu Beginn der Befreiungskriege noch in der Armee des Königreichs Westphalen, einem 1807 geschaffenen Satellitenstaat Frankreichs, fand nach der Leipziger Völkerschlacht ein Umdenken statt. Dieses ist allerdings nicht allein auf die Niederlage Frankreichs und der Rheinbundstaaten, darunter die Königreiche Bayern und Würtemberg, zurückzuführen. Versuchte Napoleon zunächst noch die Bevölkerung des neugegründeten Modellstaats mit Hilfe der Einführung des Code Civil zu seinen Gunsten zu beeinflussen, zeigte sich alsbald, dass die darin verankerten Neuerungen für das Königreich Westphalen nur auf dem Papier existierten. Der Adel blieb auch weiterhin privilegiert, die grundherrschaftlichen Eigentumsverhältnisse entgegen aller Versprechungen unangetastet.[5] Besonders litt zudem die ländliche Bevölkerung, wie ein Auszug aus der Hattorfer Ortschronik zeigt: Repressalien, wie die zahlreich durchgeführten Einquartierungen oder erhebliche steuerliche Abgaben, führten zu einer allgemeinen Abscheu gegenüber den Franzosen.[6]
Hauptaufgabe des neu geschaffenen Staates war es, die hegemoniale Stellung Frankreichs innerhalb Europas zu festigen. Zu diesem wie auch zu Verteidigungszwecken waren die einzelnen Rheinbundstaaten dazu verpflichtet, eine 25.000 Mann starke Armee zu stellen. Sei es die Aversion gegen den Kriegsdienst, der Hass auf das durch Frankreich gesteuerte Königreich Westphalen [7] oder die Verdrossenheit über das Nicht-Einhalten der in der so hochgepriesenen Verfassung zugesicherten Rechte: Viele Gründe ließen die Soldaten desertieren. Im Gegenzug verpflichteten sich die Fahnenflüchtigen hauptsächlich bei den preußischen Freikorps.[8]
Wie ein Auszug aus einer Rede vom 8. Juni 1817 verdeutlicht, finden sich auch für das eigentlich dem Königreich Westphalen zugehörigen Fallersleben Hinweise darauf, dass die Soldaten des Ortes auf Seiten der Preußen kämpften. Anlässlich der Aufstellung des Waterloo-Denkmals hielt der Fallersleber Amtmann Justus H. Franck in seiner Rede fest: „Wie nun die teutschen Völker im Jahr 1813 sich rüsteten, den Westphälischen König von seinem unrechtmäßigen Trohne zu stoßen und ihn nebst den Frantzosen aus Teutschland zu vertreiben, so ward jene Westphälische Fahne von meinem Sohn Georg nebst seinen mit ihm in das Feld des Krieges eilenden Cammeraden auf hiesigen Markte öffentlich verbrandt.“[9] Zwei Jahre nach Kriegsende und der Schaffung des Deutschen Bundes war dies ein untrügliches Zeichen für ein gewachsenes Nationalbewusstsein. Der gemeinsame und vor allem siegreiche Kampf gegen Napoleon hatte den nicht unbedeutenden Nebeneffekt, dass plötzlich nicht mehr nur die Sprache den territorialen Flickenteppich miteinander verband, sondern darüber hinaus auch ein kollektiv errungener, historischer Sieg.
An diese gemeinschaftsstiftende Narration knüpfte die laut Aller-Zeitung „von patriotischem Geiste getragene“ [10] Rede des Fallersleber Schuldirektors Otto Heinrichs vom 18. Oktober 1913 ganz unmittelbar an, die er im Zuge der Hundertjahrfeier der Völkerschlacht bei Leipzig gehalten hat.

Der Heßlinger Findling; Bildersammlung Wolfsburg/IZS

Darin wies Heinrichs insbesondere auf die zentrale Bedeutung dieses Tages für den weiteren Verlauf und Ausgang der Befreiungskriege hin. Zum großen Finale der Feierlichkeiten, die auf dem Fallerslebener Denkmalsplatz stattfand, kommentierte die Aller-Zeitung ganz vom Pathos der Veranstaltung erfasst: „Deutschland Deutschland über alles […] und dann verteilten sich vielhundert Lichter.“ Der Gedenktag habe, wie es dort weiter heißt, in „der deutschen Volksseele einen gewaltigen Aufschwung“ hervorgerufen.[11]
In diesen Zusammenhang fügt sich sogleich die Wahl des Denkmalstyps, zählt der Findling doch zu den germanisierenden Motiven, die seit dem frühen 19. Jahrhundert verwendet wurden, um die eigene deutsche Identität und Herkunft zu mythisieren.[12] 
Auf den allerorten sichtbaren Findlingen wird über die meist allein knappen Textbotschaften entsprechend an die Schlacht selbst wie auch an den Gedenktag erinnert. Doch verbirgt sich hinter der konstatierten Einheit mitunter noch eine weitere politische Botschaft. Schließlich erinnern die Findlinge in Almke, Neindorf, Ehmen und Mörse explizit an das 25-jährige Thronjubiläum Kaiser Wilhelm II.[13] Abgesehen von der Intention des Gedenkens setzten die Gemeinden durch die Aufstellung der Steine somit ihrerseits ein Zeichen: Sie bekannten sich symbolisch zu Kaiser und Reich. Dem Historiker Meinhold Lurz zufolge sollten die Findlinge einerseits die unteilbare deutsche Einheit zum Ausdruck bringen, andererseits die deutsche Widerstandsfähigkeit und nationale Stärke symbolisieren.[14] Zum Teil weisen die Inschriften der Steine selbst in mahnender Art und Weise auf die Dringlichkeit des Einhaltens dieser Tugenden hin: „1813/1913. Nimmer wird das Reich | zerstöret, | Wenn Ihr einig seid | und treu“, wie es auf dem Gedenkstein in Nordsteimke heißt.
Darüber hinaus erkannten die Gemeinden aber auch die durch das Volk selbst erbrachte Leistung an, was oftmals über das Anpflanzen einer Linde direkt neben einem solchen Gedenkstein zum Ausdruck gebracht wurde. In deutscher Tradition wird die Linde als „Baum des Volkes“ angesehen.[15] Ähnlich wie der Findling, ist auch die Linde ein Rekurs auf die seit dem frühen 19. Jahrhundert etablierten germanisierenden Motive.[16]
Dennoch zeigt ein Blick zurück, dass die Findlinge trotz der ihnen zugeschriebenen Attribute – Unteilbarkeit, Widerstandsfähigkeit und vor allem Unverrückbarkeit – nicht ganz so unverrückbar waren. Einst auf den zentralen Plätzen der Gemeinde aufgestellt, wurden sie mit der Zeit mehr und mehr in die Peripherie verlagert. So lassen sich für den Stein in Heßlingen gleich zwei Umstellungen nachweisen.[17] 

Foto des Heßlinger Findlings während der NS-Zeit; Bildersammlung Wolfsburg/IZS

Gleiches gilt für den Findling in Ehmen, der 1913 noch Postkarten zierte, mittlerweile aber auf kirchliches Gelände umgesetzt wurde. Die Entwicklung scheint überall ähnlich: Kamen an ihren ursprünglichen Aufstellungsorten noch Passanten im Zuge ihres alltäglichen Lebens vorüber, finden sich die Steine heute an vergleichsweise abgelegenen Orten wieder. Als Folge verschwanden sie sowohl aus der Öffentlichkeit als auch aus dem kollektiven Gedächtnis.[18] An ihnen zeigt sich exemplarisch, wie Geschichte vergeht.

 

Quellen:

[1] StadtA WOB, Postkarten, P-0738 (Kunstverlag H.W. Schüpphaus, Fallersleben).
[2] „Die Feier des 18. Oktober“, in: Aller-Zeitung vom 21. Oktober 1913; StadtA WOB, HA 8938, Bauverwaltungsamt, Kriegerdenkmäler in Wolfsburg, 22. Juli 1958; Dr. Hans-Georg Schulze, Texte zur Geschichte Wolfsburgs. Band 4. Ehmen. Eine Chronik. Wolfsburg 1981, S. 81.
[3] „Jahrhundertfeier am nächsten Sonntag und Montag“, in: Aller-Zeitung vom 7. Juni 1913.
[4] Hier und im Folgenden Meinhold Lurz, Kriegerdenkmäler in Deutschland. Bd. 1: Befreiungskriege. Heidelberg 1985, S. 171 und 153.
[5] Hier und im Folgenden Helmut Berding, Napoleonische Herrschafts- und Gesellschaftspolitik im Königreich Westfalen 1807–1813. Göttingen 1973, S. 21 und 25.
[6] Kulturverein Hattorf (Hg.), 700 Jahre Hattorf. Chronik des Ortes Hattorf. Hattorf 1997, S. 11f.
[7] Fritz Lünsmann, Die Armee des Königreichs Westfalen 1807–1813. Berlin 1935, S. 38.
[8] Ebd., S. 40; Stephan Freiherr von Welck, Franzosenzeit im Hannoverschen Wendland (1803–1813). Eine mikro-historische Studie zum Alltagsleben auf dem Lande zwischen Besatzungslasten und Sozialreformen. Hannover 2008, S. 266.
[9] Stadt Wolfsburg/Institut für Zeitgeschichte und Stadtpräsentation Wolfsburg (Hg.), Das Ratsbuch der Stadt Fallersleben. 1547–1948. Transkribiert und erläutert von Annette von Boettcher. Braunschweig 2013, S. 150.
[10] Hier und im Folgenden, „Die Völkerschlachtfeier in Fallersleben“, in: Aller-Zeitung vom 19. Oktober 1913.
[11] „Der 18. Oktober“, in: Aller-Zeitung vom 15. Oktober 1913.
[12] Lurz, Kriegerdenkmäler in Deutschland. Bd. 1: Befreiungskriege (wie Anm. 4), S. 151.
[13] StadtA WOB, Postkarten, P-0738 (Kunstverlag H.W. Schüpphaus).
[14] Meinhold Lurz, Kriegerdenkmäler in Deutschland. Bd. 4: Weimarer Republik. Heidelberg 1985, S. 196; Ders., Kriegerdenkmäler in Deutschland. Bd. 1: Befreiungskriege (wie Anm. 4), S. 170f.
[15] Doris Laudert, Mythos Baum. Was Bäume uns Menschen bedeuten. Geschichte, Brauchtum, 30 Baumporträts. München 1998, S. 166.
[16] Meinhold Lurz, Kriegerdenkmäler in Deutschland. Bd. 4: Weimarer Republik (wie Anm. 14), S. 193.
[17] StadtA WOB, HA 8938, Stadtplanungsamt, Kriegerdenkmäler in Wolfsburg, 31. Oktober 1958; Ebd., Skizze betreffend Kriegerdenkmal vor dem Dorfe – Ecke Fallersleberstr; StadtA WOB, HA 10132, Bd. 1, Vermerk, Sanierung Rothenfelder Markt, 6. Juni 1988.
[18] Ebendieses beklagte eine Arbeitsgruppe Wolfsburger Heimatpfleger im Zuge einer Podiumsdiskussion vom 18. Oktober 2013 in der Bürgerhalle des Rathauses zum Thema „Wolfsburger Gedenksteine an die Völkerschlacht zu Leipzig“. Sie brachten Ihr Bedauern darüber zum Ausdruck, dass die Steine weitestgehend unbeachtet an „geschützte[n] Stelle[n]“ liegen, „die Kenntnisse hinsichtlich“ der Steine „miserabel“ Seien.

Veröffentlicht am 7.11.2018

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