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Kriegerdenkmal Sülfeld

Von Maik Ullmann und Alexander Kraus

„Hakenkreuz und Schwarz-weiß-rot über Deutschland“, titelte die rechts-konservative Aller-Zeitung am 6. März 1933 nach dem Wahlsieg der NSDAP bei der Reichstagswahl am Vortag.[1] Der nationale Jubel fand seine Entsprechung, wie dem Lokalteil der Ausgabe zu entnehmen ist, auch vor Ort im niedersächsischen Fallersleben, in dem sich am Vorabend eine Kundgebung ereignete. Die durch die NSDAP, den Stahlhelm und den örtlichen Landwehrverein initiierte Veranstaltung traf den Geschmack des Journalisten, der mit Blick auf den Wahlerfolg der Nationalsozialisten konstatierte, man habe „seit dem 1. August 1914 nicht einen solchen Tag nationaler Erhebung erlebt“.[2] Von etwas mehr als 30 Millionen aller abgegebenen Stimmen hätten etwa 17 Millionen Wähler ihr Kreuz für die Nationalsozialisten gesetzt.

Eine Ehrung von Sülfeldern vor dem Denkmal; Privatbesitz Hermann Sprenger

Wie der Fund einer Fotoaufnahme zeigt,[3] wurde auch das benachbarte Sülfeld von dieser Welle der nationalen Euphorie erfasst: Elf Männer mittleren Alters posieren sichtlich gut gelaunt vor einem etwa 2,70 Meter hohen Findling. Zur Feier des Tages tragen sie ihre Sonntagsanzüge, an deren Revers jeweils ein Blumengesteck angebracht ist. Ihre Gesichter strahlen Zuversicht und Zufriedenheit aus. Ausnahmslos blicken sie selbstsicher und unverwandt in die Kamera. Obgleich das Bild inszeniert wirkt, zeigt es deutliche handwerkliche Mängel. So ist beispielsweise der Mann am rechten Bildrand abgeschnitten. Auf dem hinter der Gruppe sichtbaren Stein ist am oberen Ende ein Hakenkreuz zu erkennen sowie das Sülfelder Ortswappen. Darunter zeichnet sich eine Inschrift ab, deren Text sich nur erahnen lässt. Eine weitere Fotografie des Denkmals verschafft diesbezüglich Abhilfe: „Sülfeld | Erwachen | Der | Deutschen | Nation | 5. März 1933“. 

Feierlicher Festakt zur Denkmaleinweihung am 14. Mai 1933; Fotoalbum Privatbesitz Lieselotte Grothe

Die erste Aufnahme ist vermutlich – die Bäume tragen noch keine Blätter – an einem Heldengedenktag [4] anlässlich einer Ehrung Sülfelder Bürger aufgenommen worden. Sie zeigt die Honoratioren des Dorfes, darunter größtenteils lokale Großgrundbesitzer und wohlhabende Bauern, die sich vor dem Denkmal aufgestellt haben. Elf Jahre später sollten einige der abgebildeten Personen abermals gemeinsam in Erscheinung treten, doch dazu später mehr.
Nicht nur am Tag der Denkmalsenthüllung am 14. Mai 1933, sondern auch in „künftigen Zeiten“ sollte der Stein die Sülfelder daran erinnern, „daß Hitler es war, dem wir es zu verdanken haben, daß wir den Tag der Erhebung des deutschen Volkes am 5. März erleben konnten“, verkündete Pastor Friedrich Ahlers während des die Feier eröffnenden Feldgottesdienstes vor den Augen zahlreicher Zuschauer, darunter regionale NSDAP-Parteimitglieder [5] sowie Abordnungen von SA und SS.[6] Ebenfalls anwesend waren der Gauleiter von Ost-Hannover, Otto Telschow, und der Gifhorner Landrat Eugen von Wagenhoff. 

Enthüllung des Denkmals; Fotoalbum Privatbesitz Lieselotte Grothe

Dem Anlass entsprechend war das ganze Dorf, das zu diesem Zeitpunkt lediglich etwas mehr als 500 Einwohner zählte, bei der Denkmalsenthüllung festlich geschmückt. „Kein Haus ohne Fahne Schwarz-weiß-rot oder Hakenkreuz oder beides“, kommentierte die Aller-Zeitung in Hochstimmung: „Die Häuser und Straßen geschmückt mit Grün, Gewinden und Ehrenpforten in großen Mengen gaben ein feierliches Bild, wie es Sülfeld niemals zuvor gesehen hat.“[7] 

Die alte Dorfschule am 14. Mai 1933; Privatbesitz Lieselotte Grothe
Der Sülfelder Forstweg; Fotoalbum Privatbesitz Lieselotte Grothe
Die im Dorfkern gelegene Straße Damm; Fotoalbum Privatbesitz Lieselotte Grothe
Der Der Denkmalsplatz; Fotoalbum Privatbesitz Lieselotte Grothe

Die Fotografien dokumentieren demnach einerseits, wie rasch und ungehindert der Nationalsozialismus Eingang „in private und lokale Lebenswelten“ fand, [8] dies auch, indem er zentrale Orte mit neuen Festkulten usurpierte und vereinnahmte. Andererseits lassen sich die Aufnahmen auch dahingehend deuten, dass der Wahlerfolg der NSDAP vom 5. März Emotionen freisetzte, die nicht erst über Nacht entstanden sind.

Im Zuge der Feierlichkeiten benannte die stolze Gemeinde offenbar zeitgleich den angrenzenden Platz nach ihrem siegreichen Reichskanzler.[9] 

Eine Postkarte aus Sülfeld; Privatbesitz Familien Berthold Sprenger

Waren solche Benennungen landesweit auch keine Seltenheit, so erscheint die Denkmalssetzung selbst rückwirkend als Kuriosum, denn die lokalen Verantwortlichen scheinen vorschnell gehandelt zu haben: Nicht der 5. März, sondern der 30. Januar 1933 sollte in der NS-Erinnerungskultur der offizielle Tag werden, an dem Adolf Hitler und der Machtübernahme der Nationalsozialisten gedachte wurde. Dieses Ereignis barg weitaus mehr symbolisches Kapital als der Wahlsieg vom März selben Jahres. Der Historikerin Sabine Behrenbeck zufolge wurde Hitler bereits kurze Zeit nach der Übernahme des Kanzleramtes am 30. Januar durch die NSDAP zu einer Art Erlöser stilisiert.[10] Ihre These deckt sich mit der lokalen Presseberichterstattung des Folgejahres: Eine Fülle an Zeitungsberichten thematisierte Hitlers Machtergreifung,[11] wohingegen der 5. März keinen Widerhall findet.
Wie ist dieser Befund zu deuten? Zeigten sich die Sülfelder lediglich überambitioniert, als sie einem Tag ein Denkmal setzten, der in der offiziellen NS-Erinnerungskultur keine Rolle spielte? Eine andere Interpretation erscheint plausibler, denn die Gemeinde stand mit ihrer Deutung nicht allein: Wie aus dem Artikel zur Einweihung des Sülfelder Gedenksteins hervorgeht, hatte Otto Telschow bereits zuvor einen Stein in Bad Bodenteich in der Lüneburger Heide geweiht, „der ebenfalls eine Erinnerung an Deutschlands Erhebung sein soll“ und damit nicht den 30. Januar im Blick hatte.[12] Gleiches ereignete sich in Ehra im östlichen Niedersachsen, wo dem 5. März mit einem weiteren Findling gedacht wurde.[13]
Offenbar ging der Sülfelder Ortsgruppenleiter Heinrich Bähse 1933 noch davon aus, der 5. März würde sich als der historisch denkwürdigste Tag im nationalsozialistischen Deutschland etablieren. Die Denkmalssetzung verweist demnach auf die große Euphorie über den Wahlsieg und den großen Elan der Parteimitglieder wie auch der lokalen Bevölkerung. Sie bestätigt damit die These Werner Freitags, der mit Blick auf die nationalsozialistische Festpraxis in Westfalen zeigte, dass diese gerade nicht als „Ausdruck von NS-spezifischer Instrumentalisierung“ gedeutet werden könne, sondern vielmehr „eine kulturelle Ausdrucksform lokaler Gesellschaften [sei], sich der Herrschaft Hitlers zu vergewissern und sie zu bejahen“.[14] Andreas Wirsching hat darüber hinaus nachgewiesen, wie sehr der 30. Januar zunächst lediglich als einfacher Regierungswechsel und eben nicht als zentraler Einschnitt empfunden wurde.[15]
Doch unabhängig von der im Nationalsozialismus bald irrigen Botschaft, an der sich über die nächsten Jahre hinweg keiner vor Ort stören sollte, lässt sich anhand des Denkmals in Sülfeld noch eine andere Ebene der nationalsozialistischen Erinnerungskultur aufzeigen. Denn der im Zuge der Arbeiten am nahegelegenen Mittellandkanal in den späten 1920er Jahren zutage geförderte und zunächst im umgangssprachlichen Bauernholze gelagerte Findling, der als Geschenk der Magdeburger Elbstrombauverwaltung in den Besitz Sülfelds gelangte, wurde einst 1931 als Naturdenkmal errichtet. 

Der Findling als Naturdenkmal; Privatbesitz Hermann Sprenger

Ist über den ursprünglichen Anlass auch nichts überliefert,[16] so lässt er sich doch im Kontext des sich langsam organisierenden Naturschutzes verorten, der sich zunächst darum bemühte, singuläre Naturphänomene wie beispielsweise derartige Findlinge zu erhalten. Welcher Intention auch immer die Sülfelder 1931 folgten, so scheint diese nur zwei Jahre später gänzlich vergessen oder obsolet geworden zu sein, als der Findling im Mai 1933 umgewidmet wurde: Mit einem metallenen Hakenkreuz und einem Denkspruch versehen, weihten die Anwesenden NSDAP-Mitglieder den Findling ihrem Reichskanzler Adolf Hitler. Das Hakenkreuz ist vermutlich bereits im Frühsommer 1945 von der British Army demontiert, das Denkmal später zu einem Erinnerungsort an die Gefallenen umgestaltet worden. Schon während des Zweiten Weltkrieges wurden symbolische Holzkreuze für die gefallenen Soldaten aufgestellt. 

Holzkreuze erinnern an die Gefallenen des Dorfes; Fotoalbum Privatbesitz Lieselotte Grothe

Der eingangs beschriebenen Fotografie wohnt indes noch eine andere Erinnerungsebene inne. Am 20. Juni 1944, die deutsche Wehrmacht befand sich an der Ostfront längst auf dem Rückzug und sah sich auch an der Westfront nach der Landung der Alliierten in der Normandie mit massiven Vorstößen konfrontiert, erreichte das Sülfelder Bürgermeisteramt eine Mitteilung des Gifhorner Wehrmeldeamtes: Bis zum 7. Juli des selben Jahres sollten dem Amt sämtliche Wehrpässe der Geburtsjahrgänge 1889 und jünger vorgelegt werden. „[B]ei dieser Aktion [handele es sich] um eine reine wehrdienstliche Überwachungsangelegenheit“, wie der stellvertretende Leiter des Wehrmeldeamtes in seinem Brief abschließend versicherte, die keinesfalls mit einer etwaigen bevorstehenden Einberufung in Verbindung stehe.[17] Nur zwei Monate später erging auf Anordnung des Oberkommandos der Wehrmacht allerdings der Befehl, alle ausgemusterten männlichen Personen der Jahrgänge 1884 bis 1905 sofort wieder in die Wehrüberwachung aufzunehmen.[18] Der nationalsozialistische „Volkskrieg“ hatte damit auch Sülfeld erreicht. Zur Verteidigung des Reichsgebiets an der „Heimatfront“ wurde in diesem Zusammenhang auf Geheiß der Parteiführung der Volkssturm gebildet.[19] Doch stand es – ganz abgesehen von der schlechten Ausbildung – um die Motivation der zum Volkssturm Einberufenen häufig nicht zum Besten.[20] Wie sich die Sülfelder Bevölkerung in den letzten Monaten des Krieges positionierte, ist nicht bekannt. Doch fanden wenigstens fünf der Männer Aufnahme in das Namensverzeichnis des Sülfelder Volkssturms,[21] die sich Mitte der 1930er Jahre stolz vor ihrem Denkmal für den Sieg des Nationalsozialismus aufgestellt hatten. Die Fotografie des Denkmals, das seit dem Winter 1968 den im Krieg gefallenen Soldaten des Dorfes gewidmet ist,[22] dokumentiert demnach nicht nur die Frühzeit der nationalsozialistischen Erinnerungspolitik in Sülfeld, sondern vermittelt darüber hinaus auch einen biografischen Zugang zum weiteren Schicksal der damaligen lokalen Akteure.

Quellen:

[1] „Hakenkreuz und Schwarz-weiß-rot über Deutschland“, in: Aller-Zeitung vom 6. März 1933.
[2] Der Journalist der Aller-Zeitung verband den Wahlsieg Hitlers unumwunden mit dem „Augusterlebnis“; jenem scheinbaren Enthusiasmus, der die Deutschen beim Kriegsausbrauch 1914 über alle Klassengegensätze hinweg zu einer „Volksgemeinschaft“ vereint hätte. Zur Rezeption im Nationalsozialismus siehe ausführlich Jeffrey Verhey, Der „Geist von 1914“ und die Erfindung der Volksgemeinschaft. Hamburg 2000, insbesondere S. 346–355.
[3] Für das Bildmaterial danken wir Lieselotte Grothe und Hermann Sprenger. Für wertvolle Hinweise und Anregungen danken wir Marcel Glaser.
[4] Im Jahr 1934 fand der Volkstrauertag am 25. Februar statt, ab dem kommenden Jahr wurde am fünften Sonntag vor Ostern der Heldengedenktag begangen. Siehe dazu das „Gesetz über die Feiertage vom 27. Februar 1934“, abgedruckt in: RGBL, Teil I/1934, Nr. 22, S. 129.
[5] Namentlich die NSDAP-Parteigenossen Friedrich-Wilhelm Lütt und Georg Stadtler aus Harburg.
[6] „Gedenkstein-Einweihung in Sülfeld“, in: Aller-Zeitung vom 13. Mai 1933.
[7] „Gedenkstein-Weihe in Sülfeld“, in: Aller-Zeitung vom 16. Mai 1933.
[8] Linda Conze, „Die Ordnung des Festes/Die Ordnung des Bildes. Fotografische Blicke auf Festumzüge in Schwaben (1926–1934)“, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Jg. 12 (2015), S. 210–235, hier S. 211.
[9] Ob der Platz auch offiziell in „Adolf Hitlerplatz“ umbenannt wurde, konnte anhand der Sülfelder Ortsratsprotokolle nicht nachvollzogen werden. Möglicherweise handelt es sich dabei lediglich um eine Bezeichnung aus dem Volksmund, die auf der Postkarte Niederschlag fand.
[10] Sabine Behrenbeck, Der Kult um die toten Helden. Nationalsozialistische Mythen, Riten und Symbole 1923–1945. Köln 2011, S. 175.
[11] „Ruhe und Frieden. Gedanken zum 30. Januar“, in: Aller-Zeitung vom 29. Januar 1934; „Der Dank des Reichspräsidenten. Ein Brief Hindenburgs an den Führer“, in: Aller-Zeitung vom 30. Januar 1934; „Hitlers Bekenntnis“, in: Aller-Zeitung vom 31. Januar 1934.
[12] „Gedenkstein-Weihe in Sülfeld“, in: Aller-Zeitung vom 16. Mai 1933.
[13] Privatbesitz Dr. Meinhardt Leopold, Wolfsburg.
[14] Werner Freitag, „Der Führermythos im Fest. Festfeuerwerk, NS-Liturgie, Dissens und ‚100 % KdF-Stimmung‘“, in: Ders. (Hg.), Das Dritte Reich im Fest. Führermythos, Feierlaune und Verweigerung in Westfalen 1933–1945. Bielefeld 1997, S. 11–77, hier S. 17.
[15] Andreas Wirsching, „Die deutsche ‚Mehrheitsgesellschaft‘ und die Etablierung des NS-Regimes im Jahre 1933“, in: Ders. (Hg.), Das Jahr 1933. Die nationalsozialistische Machteroberung und die deutsche Gesellschaft. Göttingen 2009, S. 9–30.
[16] Vgl. TSV Sülfeld von 1913 e.V. (Hg.), 1000 Jahre Sülfeld. Die Chronik. Wolfsburg 2017, S. 103–108. Der Hinweis auf das Naturdenkmal geht auf die Chronik von Heinrich Müller aus dem Jahr 1937 zurück, dort auf der Rückseite von Blatt 14.
[17] StadtA Wob, Sü 20, Wehrerfassung Volkssturm, Wehrmeldeamt Gifhorn an den Bürgermeister vom 20. Juni 1944.
[18] StadtA Wob, Sü 20, Der Landrat des Kreises Gifhorn an die Herren Bürgermeister im Kreise vom 23. August 1944.
[19] Sven Keller, Volksgemeinschaft am Ende. Gesellschaft und Gewalt 1944/45. München 2013, S. 131–144.
[20] Dazu David K. Yelton, Hitler’s Volkssturm, The Nazi Militia and the Fall of Germany. 1944–1945. Lawrence 2002.
[21] StadtA Wob, Sü 20, Volkssturm 1, Gemeinde Sülfeld vom 15. November 1944; Ebd., Volkssturm 2, Gemeinde Sülfeld vom 15. November 1944.
[22] StadtA Wob, Sü 28, Errichtung eines Kriegerdenkmals 1968, Stein- und Bildhauer Werner Klotz an die Gemeinde Sülfeld vom 23. November 1968.

Veröffentlicht am 7.11.2018

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